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Ein Luftfahrtunternehmen kann zur Vorbereitung eines auf Rückforderung unzulässiger Beihilfen gerichteten Anspruches gegen eine Flughafenbetreiberin von dieser Auskunft verlangen, welche (günstigeren) Sonderkonditionen einem anderen Luftfahrtunternehmen für die Nutzung des Flughafens eingeräumt worden sind. Unter bestimmten Voraussetzungen ist dabei ein nationales Gericht an die vorläufige Qualifizierung der Sonderkonditionen als Beihilfe durch die Europäische Kommission gebunden. Dies hat der 6. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in einem am 08.04 2015 verkündeten Urteil - 6 U 54/06 - entschieden.

Die Klägerin, ein Luftfahrtunternehmen, klagt gegen die Stadt Lübeck unter anderem auf Auskunft darüber, welche Sonderkonditionen für die Nutzung des Flughafens einem Mitbewerber in den Jahren 2000 bis 2004 eingeräumt wurden.  Die Klägerin meint, dass es sich insoweit um rechtswidrige staatliche Beihilfen handele. Das dem Auskunftsanspruch stattgebende erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Kiel änderte der Senat in einer ersten Entscheidung (Urteil vom 20.05.2008) und wies die Klage ab. Die Entscheidung stützte sich darauf, dass die von der Beklagten möglicherweise durch die Einräumung von Sonderkonditionen verletzte Bestimmung des Art.108 Abs. 3 S. 3 AEUV (Vertrag von Lissabon über die Arbeitsweise der Europäischen Union) nicht dem Schutz der Klägerin diene. Auf die durch den Senat zugelassene Revision hob der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 10.02. 2011 (Az.: I ZR 213/08) diese Entscheidung auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht mit der Begründung zurück, dass entgegen der Auffassung des Senats Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV durchaus Schutzwirkung zu Gunsten der Klägerin zukomme.

Der mit der Frage nach einer unzulässigen Beihilfe befasste Senat hat eine Stellungnahme der Europäischen Kommission eingeholt. Diese hat unter Verweis auf die mit Beschluss vom 10.07.2007 erfolgte Einleitung eines förmlichen Prüfverfahrens mitgeteilt, dass die seinerzeit mit einem Mitbewerber getroffene Vereinbarung "prima facie" eine Beihilfe darstelle und deshalb "eine selbständige beihilferechtliche Würdigung" des Senats entbehrlich sei. Auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 14. Januar 2013 hat der Europäische Gerichtshof mit Beschluss vom 04.04.2014 unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung ausgeführt: Die Wirksamkeit des Art. 108 AEUV würde vereitelt, wenn die nationalen Gerichte die Ansicht vertreten dürften, dass eine Maßnahme mit Beihilfeelementen, derentwegen die Europäische Kommission ein förmliches Prüfverfahren eröffnet habe, gleichwohl keine Beihilfe darstellen müsse.

Die Klägerin kann von der Beklagten zur Vorbereitung eines auf Rückforderung unzulässiger Beihilfen gerichteten Anspruches Auskunft über einem anderen Luftverkehrsunternehmen eingeräumte Sonderkonditionen verlangen. Gemäß Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV dürfen Mitgliedstaaten Beihilfemaßnahmen nicht durchführen, wenn nicht die Kommission zuvor abschließend deren Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt hat. Nach dem bindendem Beschluss des Europäischen Gerichtshofs vom 04.04.2014 hat der Senat wegen der Eröffnungsentscheidung der Kommission vom 10.07.2007 bis zur ausstehenden endgültigen Entscheidung der Kommission davon auszugehen, dass es sich bei den einem Mitbewerber in den Jahren 2000 bis 2004 eingeräumten Sonderkonditionen um staatliche Beihilfen handelt. Dem steht der nur vorläufige Charakter der Kommissionsentscheidung bei zutreffender Auslegung des Beschlusses des Europäischen Gerichtshofs nicht entgegen. Gegenteilige Auffassungen, die eine eigenständige Prüfung des Vorliegens einer Beihilfe durch nationale Gerichte allgemein oder in bestimmten Fällen eröffnet sehen, teilt der Senat unter Hinweis auf die besondere Konstellation des Einzelfalles nicht. Eine Bindungswirkung entfällt auch nicht deshalb, weil der Europäische Gerichtshof mit der eingeforderten Bindung nationaler Gerichte an Eröffnungsentscheidungen der Europäischen Kommission seine Kompetenzen überschritten hätte. Abgesehen davon, dass die Feststellung der Unanwendbarkeit eines vom Gerichtshof aufgestellten Rechtsgrundsatzes wegen kompetenzwidrigen Handels der Unionsgewalt allein dem Bundesverfassungsgericht obliegt, sind Anhaltspunkte für eine nach den strengen Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts erforderliche offensichtliche, erhebliche Kompetenzüberschreitung nicht gegeben. Der Senat hat demnach ohne weitere Prüfung des Vorliegens einer Beihilfe davon auszugehen, dass die Beklagte mit der Gewährung der Sonderkonditionen die Vorschrift des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV verletzte.

Der Senat hat im Hinblick auf die Frage der Reichweite der Bindungswirkung der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 04.04.2014 und der Europäischen Union vom 04.04.2014 die Revision zugelassen. 

 

Ansprechpartnerin: 

inga-schwertner klDr. Inga Schwertner
Fachanwältin für Verwaltungsrecht

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