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Neue Entwicklungsmöglichkeiten für die Großfläche?

Mit ihrer Entscheidung vom 18.06.2015 hat die EU-Kommission der Bundesrepublik Deutschland erneut ein Mahnschreiben zu bestimmten Regelungen der Raumordnung für den Einzelhandel übersandt.

Das Mahnschreiben ist die erste Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens, das letztendlich mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof entschieden und durchgesetzt werden kann. Gegenstand des Mahnschreibens dürften voraussichtlich das Kongruenzgebot, die starren Schwellenwerte für zentrenrelevante Randsortimente (z. B. 3 %/350 m²) und die Differenzierung nach Sortimenten sein. Angesichts dieser Vorgehensweise stellt sich die Frage, ob mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Europarechtskonformität bestimmter raumordnerischer Regelungen zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels in Baden-Württemberg nicht eine Vorlage an den EuGH hätte erfolgen müssen (vgl. BVerwG, 17.12.2010, 4 C 8/10).

Bereits im Juni 2009 hatte die EU-Kommission die Auffassung vertreten, dass Regelungen zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels im Raumordnungsrecht von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg nicht mit der Niederlassungsfreiheit des EU-Vertrages und der Dienstleistungsrichtlinie vereinbar seien. Auf dieses Schreiben folgte ein reger Austausch zwischen der Bundesregierung und der EU-Kommission. Die EU-Kommission versuchte, die Problematik über eine planungsrechtliche Untersuchung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit in den Mitgliedsstaaten zu systematisieren. Mit der Studie verbunden waren mehrere Workshops unter Teilnahme sowohl der Mitgliedsstaaten als auch der betroffenen Einzelhändler. Da die Kommission nicht überzeugt war, auf diesem Weg eine nachhaltige Anpassung herbeizuführen, wurde nun ein zweites Mahnschreiben an die Bundesregierung versandt. Dieses Mahnschreibens wurde notwendig, weil seit dem Schreiben im Jahr 2009 Rechtsänderungen eingetreten sind, die im Rahmen des Verfahrens formal berücksichtigt werden müssen. So wurde insbesondere in Nordrhein-Westfalen der "Sachliche Teilplan Großflächiger Einzelhandel zum LEP NRW" des Landesentwicklungsplans in Kraft gesetzt.

Nach der üblichen Vorgehensweise der Kommission hat die Bundesregierung zwei Monate Zeit, um auf dieses Schreiben zu reagieren. Sofern die Bundesregierung den Verdacht des Verstoßes gegen Europarecht nicht widerlegen kann, wird die EU-Kommission im Anschluss der Bundesregierung eine Stellungnahme mit Fristsetzung zuleiten. Sollte innerhalb der gesetzten Frist der Gesetzesverstoß nicht ausgeräumt sein, kann die EU-Kommission Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erheben.

Rechtliche Hintergründe

Rechtlicher Anknüpfungspunkt der Vorgehensweise der Europäischen Kommission ist Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Hierbei handelt es sich um eine der wesentlichen Grundfreiheiten des Europarechts. Nach der Weiterentwicklung durch die Rechtsprechung des EuGH gewährt diese Grundfreiheit eine umfassende Niederlassungsfreiheit, die nur unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt werden darf. Jede Maßnahme, die diese Dienstleistungsfreiheit erschwert, bedarf der Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeinwohls. Hierunter fällt z.B. keine diskriminierende Maßnahme und nicht die Verfolgung rein wirtschaftlicher Ziele. Besteht ein solches zwingendes Erfordernis, darf die gesetzliche Vorgabe weder diskriminieren noch unverhältnismäßig sein. Diese Vorgaben werden durch die Dienstleistungsrichtlinie (Richtlinie 2006/123/EG vom 12.12.2006) konkretisiert. Nach Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie darf die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit nicht

- von einer wirtschaftlichen Überprüfung im Einzelfall abhängig gemacht werden, bei der die Erteilung der Genehmigung vom Nachweis eines wirtschaftlichen Bedarfs oder Marktnachfrage abhängt, oder

- von der Beurteilung der tatsächlichen oder möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Tätigkeit oder der Bewertung ihrer Eignung für die Verwirklichung wirtschaftlicher, von der zuständigen Behörde festgelegter Programmziele abhängig gemacht werden.

Sämtliche Regelungen zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels auf der Ebene der Landes- und Regionalplanung müssen die oben genannten Anforderungen erfüllen. Im Hinblick auf das in jedem Einzelfall geltende Beeinträchtigungsverbot erweisen sich weitergehende Beschränkungen von Einzelhandelsbetriebstypen in Bezug auf das Flächengrößen- und Umsatzverhältnis oder die Sortimentierung als rechtlich fragwürdig. Ob die rechtlichen Anforderungen eines Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit für diese Regelungen vorliegen, wird im Rahmen dieses Verfahrens untersucht.

Ansprechpartner: 

Dr. Christian Giesecke

Dr. Christian Giesecke
Fachanwalt für Verwaltungsrecht

Telefon: 0221-973002-17

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