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Nach der gelungenen digitalen Premiere bei der Herbsttagung im September begrüßte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht NRW, Dr. Michael Oerder (Lenz und Johlen Rechtsanwälte Partnerschaft mbB), am 4. Dezember 2020 rund 115 Teilnehmer zur traditionellen Wintertagung, die aufgrund der Corona-Pandemie online stattfand. Die Pandemie war nicht nur der Anlass für das neue Tagungsformat, sondern war auch inhaltlich das Thema des Tages.

Unter dem Titel „Rechtsfragen der Corona-Pandemie“ erwarteten die Teilnehmer fünf Fachvorträge, die für einen gelungenen Austausch zwischen Rechtspraxis und Rechtswissenschaft sorgten. „Noch nie hatte ein Tagungsthema solch eine hohe Aktualität. Noch nie hatten wir in der Arbeitsgemeinschaft ein Tagungsthema, welches jeden in unserer Gesellschaft betrifft“, betonte der Vorsitzende in seiner Eröffnungsansprache. Den ersten Vortrag des Tages hielt der Leiter der Corona-Task-Force bei Lenz und Johlen, Dr. Christian Giesecke, der über die ordnungsrechtlichen Instrumente des Infektionsschutzgesetzes referierte. Zunächst führe der Fachanwalt für Verwaltungsrecht in die Systematik des Infektionsschutzgesetzes ein, wonach der Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellt, Länder und Kreise die zur Pandemiebekämpfung erforderlichen Rechtsverordnungen erlassen können und die Kommunen vor Ort notwendige Schutzmaßnahmen treffen. Im Anschluss stellte der Referent die Gemeinsamkeiten der Rechtsprechung über die Quarantäneverordnungen für Reiserückkehrer, bei Betriebsschließungen von Einzelhandels-, Gastronomiebetrieben und Fitness Studios vor. „Während im ersten Lockdown die Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage am „neuen“ Merkmal der zeitlichen Geltung gemessen wurde, ist derzeit ersichtlich, dass durch Entschädigungszahlungen Eingriffe in die Berufsfreiheit als verhältnismäßig betrachtet werden“, resümierte der Referent.

Im Anschluss hielt Frau Claudia Schoppen (Aulinger Rechtsanwälte) einen Vortrag über die Auswirkungen coronabedingter Kontaktbeschränkungen auf förmliche und nicht förmliche Verwaltungsverfahren, auf Rechtssetzungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung sowie auf gerichtliche Verfahren. In einer synoptischen Darstellung erläuterte die Rechtsanwältin die Verfahrensmöglichkeiten nach dem Plansicherstellungsgesetz (PlanSiG), mit denen wichtige Planungs- und Genehmigungsverfahren durch digitale statt präsenzgebundenen Verfahrensschritte weiterbetrieben werden konnten. Beispielsweise können mündliche Verhandlungen, die bei Besitzeinweisungen und Enteignungen im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens für Infrastrukturvorhaben notwendig werden, in Form von Online-Konsultationen (z.B. Austausch von Stellungnahmen) oder Video- und Telefonkonferenzen durchgeführt werden. Im zweiten Teil des Vortages verdeutlichte Frau Schoppen, dass es neben der Möglichkeit eine mündliche Verhandlung per Videokonferenz durchzuführen, weitere Möglichkeiten in der VwGO gibt, um die gebotene Kontaktreduzierung einzuhalten (z.B. Verzicht auf die mündliche Verhandlung oder eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid). „Ich gehe davon aus, dass viele Instrumente der Digitalisierung zukünftig erhalten bleiben“, bilanzierte die Rechtsanwältin.

„Der verordnete Ausnahmezustand – ein rechtshistorischer Vortrag? Oder: Von der Verfassungssensibilität des deutschen Gesetzgebers“. Mit diesem Vortragstitel appellierte das Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft, Prof. Dr. Thomas Mayen (Dolden Mayen & Partner), dass der Gesetzgeber seine unmittelbar vom Volk erhaltene Verantwortung auch wahrnehmen solle, statt weitreichende Befugnisse auf die Exekutive zu delegieren. „Der Gesetzgeber hatte bereits oft gezeigt, dass er auch in Eilfällen schnell handeln kann.“ Am Beispiel der drei Änderungen des § 5 IfSG im Jahr 2020, wonach der Bund eine epidemische Lage nationaler Tragweite feststellen kann, zeige Prof. Mayen auf, dass der Bundestag zwar entgegen des ersten Referentenentwurfs des Bundesgesundheitsministerium das „Notstandsrecht“ für sich beanspruchte, jedoch erst seit November feststeht, in welchen Fällen der Bundestag die Pandemielage feststellen bzw. aufheben soll. Verfassungsrechtlich bedenklich sei die Möglichkeit des Bundesgesundheitsministeriums in dieser Lage Bundesgesetze ohne die Zustimmung des Bundesrates ändern zu können.

Am Nachmittag der Tagung ging es um die staatlichen Ersatzleistungen infolge der Corona-Maßnahmen. Prof. Dr. Foroud Shirvani von der Universität Bonn legte die Grundlage, indem er einen Überblick über denkbare Ansprüche des Staatshaftungsrechts darstellte. Die erste Gruppe umfasst Ansprüche infolge rechtmäßigen staatlichen Handelns (z.B. Ansprüche aus einteigendem Eingriff). Hingegen behandelt die zweite Gruppe Ansprüche auf der Grundlage rechtswidriger staatlichen Maßnahmen (z.B. Amtshaftungsansprüche). „Verfassungsrechtliches Neuland wird sein, ob die Rechtsprechung ein kollektives Sonderopfer annimmt, weil bestimmte Gewerbebetriebe schließen müssen, damit andere Wirtschafts- und Gesellschaftszeige weiterbetrieben werden“, berichtete Prof. Shirvani über bestehende Hürden. Am Ende werde wohl das Bundesverfassungsgericht diese Frage entscheiden.

Diese Vorlage von Herrn Prof. Shirvani griff die letzte Referentin des Tages, Frau Dr. Antje Wittmann (Baumeister Rechtsanwälte), auf und sprach über Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche infolge coronabedingter Beschränkungen. In der Literatur stellte sie eine skeptische Grundhaltung fest, weil die Ansprüche des Infektionsschutzgesetzes entweder als nicht passend oder im Vergleich zu anderen Rechtsgrundlagen als ein abschließendes Regelungssystem betrachtet werden. Sie pflichtete ihrem Vorredner bei, dass Entschädigungsansprüche bei der Annahme eines Sonderopfers möglich seien. „Die bisherige Rechtsprechung scheint jedoch die Auffassung zu vertreten, dass ein individuelles Sonderopfer nicht vorliegt, weil entweder ein gesamtes Bundesland bzw. ein gesamter Wirtschaftszeig betroffen ist“, erklärte Frau Dr. Wittmann. Zum Abschluss bedanke sich der Vorsitzende Dr. Michael Oerder bei den Anwesenden für eine spannende Tagung und äußerte die Hoffnung, alle Kolleginnen und Kollegen bei einer Präsenzveranstaltung im nächsten Jahr wiedersehen zu können.

Ihr Ansprechpartner:

michael oerder gr

Dr. Michael Oerder
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Verwaltungsrecht NRW im Deutschen AnwaltVerein
Telefon: 0221-973002-73
E-Mail: m.oerder[at]lenz-johlen.de

 

Verfasser dieses Beitrags:

Christian Klicki

Dr. Christian Klicki
Rechtsanwalt
Telefon: 0221-973002-89
E-Mail: c.klicki[at]lenz-johlen.de

 

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