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Die Wintertagung der Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht des Deutschen Anwaltvereins fand dieses Jahr, eine Woche vor Weihnachten, erneut in digitalem Format statt. Über 100 Teilnehmende aus Anwaltschaft, Richterschaft und  Verwaltung begrüßte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Dr. Michael Oerder zu der Veranstaltung mit dem Thema „Rechtsfragen zum Klimawandel und Eigentumsschutz“.

Referiert und diskutiert wurde über den Hochwasserschutz in der Raumordnung, planerische Fragen zur Windenergienutzung, den Eigentumsschutz im (Klima-)Wandel, Entwicklungen zum Bestandsschutz im öffentlichen Baurecht und zum Enteignungsverfahren sowie zur vorzeitigen Besitzeinweisung. Mit diesen Themen konnte an die Frühjahrstagung angeknüpft werden, in der der Beschluss des Bundesverfassungsgericht vom 24.03.2021 (1 BvR 2656/18 u.a.) zum Klimaschutz bereits Gegenstand war.

Nach den einleitenden Worten des Vorsitzenden Dr. Michael Oerder startete Herr Prof. Dr. Martin Beckmann mit dem Vortrag „Hochwasserschutz und Starkregenereignisse in der Raumplanung - Ziele und Grundsätze des Bundesraumordnungsplans zum Hochwasserschutz vom 19. August 2021“. Die Aktualität und die Notwendigkeit effektiven Hochwasserschutzes ist angesichts der Flutkatastrophe in Deutschland im Juli diesen Jahres, insbesondere in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, unbezweifelbar, wie Prof. Dr. Beckmann betonte. Anschließend stellte er das ausdifferenzierte Hochwasserschutzsystem des Wasserhaushaltsgesetzes überblickartig dar. Angesichts detaillierter Vorschriften zur Risikobewertung, Risikoarten, Risikomanagementplänen und zur Festsetzung von Überschwemmungsgebieten ist aus Sicht von Herrn Prof. Dr. Beckmann die Frage nach der Erforderlichkeit des „Bundesraumordnungsplans Hochwasserschutz“ aufgeworfen. Auch aus Sicht der Bundesländer gab es Bedenken an der Erforderlichkeit einer länderübergreifenden Planung, wie § 17 Abs. 2 Raumordnungsgesetz sie erlaubt. Detailliert werden kompetenzrechtliche Probleme einzelner Ziele und Grundsätze des Bundesraumordnungsplans im Verhältnis des Wasserhaushaltsgesetzes erarbeitet. Im Ergebnis konstatiert Prof. Dr. Beckmann Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bundesraumordnungsplans Hochwasserschutz.

An dieses Thema zur Klimaanpassung schloss sich ein Thema zum Klimaschutz an. Dr. Felix Pauli referierte zu aktuellen Fragen zur Windenergienutzung und gab einen Überblick über die planungsrechtliche Situation in Nordrhein-Westfalen. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass das Land Nordrhein-Westfalen über keine planerisch umgesetzte Strategie zur Versorgung mit regenerativen Energien verfügt. Im Landesentwicklungsplan (LEP) NRW sind nur drei allgemeine bis restriktive Plansätze zur Windenergienutzung enthalten. Die landesplanerische Abstandsregelung (Plansatz 10.2-3 LEP NRW) weist nach der Rechtsprechung des OVG Münster „keine raumordnerische Konzeption“ auf. Erörtert wurde ferner der schwierige Umgang mit dem (restriktiven) Plansatz im LEP NRW zur Inanspruchnahme von Wald. Anschließend erläuterte Dr. Pauli die Regelungen auf Regionalplanungsebene und warf die Frage auf, ob die Steuerung der Windenergienutzung durch die kommunale Bauleitplanung noch sachgerecht ist. In diesem Zusammenhang wird weiterhin auf die hohe Quote unwirksamer Flächennutzungspläne und die daraus folgenden Probleme eingegangen. Schließlich wurde die Regelung zum 1.000-m-Abstand in § 2 Abs. 1 BauGB-AG NRW dargestellt.

Unter dem Titel „Eigentumsschutz im (Klima-)Wandel?“ führte Prof. Dr. Mayen zum Verhältnis des Eigentumsschutzes zu Maßnahmen zum Zwecke des Klimaschutzes dar, die beispielsweise den Betrieb von Steinkohlekraftwerken verhinderten. Ein Verbot der Steinkohleverfeuerung komme für diese Fälle einer Stilllegung gleich. Nach einer kurzen Feststellung, dass der Schutzbereich eröffnet ist, stellte Prof. Dr. Mayen die Merkmale einer Enteignung dar und subsumierte, dass eine solche nicht vorliege. Vertieft wurden Gesichtspunkte der Verhältnismäßigkeit erörtert, in der insbesondere die Angemessenheit einer besonderen Betrachtung bedarf, die bei Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG Besonderheiten aufweist. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Atomausstieg und zum Klimaschutz zeigte Prof. Dr. Mayen auf, dass sich hier beachtliche Veränderungen zu Lasten des Eigentumsschutzes für CO2-relevante Betätigungen ergeben können.

Nach den grundlegenden verfassungsrechtlichen Ausführungen schloss Dr. Manfred Schröder mit einer Erörterung ausgewählter Rechtsprechung zum Bestandsschutz im Baurecht an. Am Beispiel eines Urteils des OVG Lüneburg vom 07.10.2021 (1 KN 17/20) leitete Dr. Schröder her, dass sich das sogenannte Zeitmodell, das ursprünglich zu § 35 Abs. 4 BauGB entwickelt wurde, auf die Frage, unter welchen Umständen eine Baugenehmigung für ein leerstehendes Gebäude erlischt, nicht anwendbar ist. Maßgeblich kommt es auf § 43 Abs. 2 VwVfG an. Aufbereitet wurden anhand des Beschlusses des OVG Münster vom 18.01.2021 (10 A 1243/20) die Voraussetzungen und Grenzen, bestehende Nutzungen durch Überplanung „auf den Bestand zu setzen“. Anhand einer aktuellen Entscheidung des VGH München, Beschluss vom 10.11.2021 (15 ZB 21.1329) erläuterte Dr. Schröder, dass für einen Baustopp bereits ausreichend ist, wenn ein „Anfangsverdacht“ besteht, die Arbeiten seien vom Bestandsschutz bzw. der bestehenden Baugenehmigung nicht mehr gedeckt. Weiterhin wurden praxisrelevante Fragen der Darlegungs- und Beweislast besprochen.

Zum Abschluss referierte Dr. Jonathan Schaub-Englert zum Ablauf und zu den Voraussetzungen des Enteignungsverfahrens und der vorzeitigen Besitzeinweisung. Die Teilnehmer erhielten einen Überblick, begonnen bei den möglichen Rechtsgrundlagen für die Zulässigkeit der Enteignung im Baugesetzbuch und in Fachplanungsgesetzen, über das Verfahren bis hin zu den zu leistenden Entschädigungen. Dr. Schaub-Englert stellte aus Sicht der Verwaltung praxisnah und detailliert das Verfahren vor und betonte, welche Punkte dafür durch den Antragsteller und Betroffene beachtet werden müssen. Deutlich wurde auch, dass die Enteignungsbehörde mittlerweile verstärkt versucht, eine Enteignung zu vermeiden und eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen, was sich im Rahmen der vorzeitigen Besitzeinweisung mangels Verhandlungsmasse schwieriger gestaltet.

Insgesamt war es trotz des digitalen Formats eine gelungene Veranstaltung, die die Erwartung erfüllt hat, zu den Schlagworten Klimaschutz und Eigentumsschutz und ihrem Überschneidungsbereich einen Überblick über aktuelle Rechtsprechung zu geben, aktuelle Entwicklungen in Rechtsprechung und Gesetzgebung kritisch zu begleiten und sowohl praxisnahe als auch dogmatische Diskussionen und Rückfragen zu ermöglichen.

Die Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht wird im neuen Jahr 2022 zur traditionellen Frühjahrstagung einladen. Wenn die Bedingungen es zulassen, wird sie als Präsenzveranstaltung stattfinden.

Ihr Ansprechpartner:

michael oerder gr

Dr. Michael Oerder
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Verwaltungsrecht NRW im Deutschen AnwaltVerein
Telefon: 0221-973002-73
E-Mail: m.oerder[at]lenz-johlen.de

 

Verfasser dieses Beitrags:

hagemann

Mats Hagemann
Rechtsanwalt
Telefon: 0221-973002-54
E-Mail: m.hagemann[at]lenz-johlen.de

 

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